Hirnforschung: Mein Singen fühlt sich an, wie dein Song klingt
21.01.2008 THOMAS KRAMAR (Die Presse)
Spiegelneuronen helfen Menschen beim Sprechenlernen – und Singvögeln beim Lernen ihrer Lieder.
Gähnen ist ansteckend. Reißt in einer Gesellschaft der Erste den Mund auf, folgen die anderen sofort. Das funktioniert – wie die Nachahmung, das „Nachäffen“ anderer Gesichtsausdrücke – auch bei Orang-Utans, das haben Forscherinnen in Hannover kürzlich gezeigt (Biology Letters, 4, S.27), es funktioniert nicht bei autistischen Menschen.
So automatisch (und sinnlos) eine solche Gähnkaskade wirken mag – was dabei im Gehirn abläuft, ist neurologisch mit hoher Wahrscheinlichkeit verwandt mit höchsten Regungen wie dem Mitgefühl, das Arthur Schopenhauer gern mit einem Satz von Calderon beschrieb: „Dass zwischen leiden sehn und leiden kein Unterschied sei.“
Wie man Zungezeigen lernt
Träger einer solchen Übertragung zwischen einem Du und einem Ich sind die vor zwölf Jahren im Hirn von Affen entdeckten Spiegelneuronen: Nervenzellen, die sowohl aktiv sind, wenn ihr Träger eine Handlung selbst ausübt, als auch, wenn er wahrnimmt, wie andere Individuen diese Handlung ausüben. So helfen sie, die Erlebnisse eines anderen nachzuvollziehen: Ganz wörtlich im Sinn des Mitleids aktiv sind etwa menschliche Spiegelneuronen, die feuern, wenn man selbst einen Nadelstich spürt und wenn man sieht, wie ein anderer gestochen wird.
Andere Spiegelneuronen – eines Rhesusaffen – sind aktiv, wenn der Affe einen Menschen die Zunge zeigen sieht und wenn er sie selbst zeigt. Ganz offensichtlich eine gute Basis für das Lernen durch Nachahmung.
Auch bei Singvögeln, die ja einiges zu lernen haben: Eine Nachtigall z.B. muss über 60 Lieder unterscheiden können, nachdem sie jedes nur ein paar Mal gehört hat. Spiegelneuronen, die für solches Lernen zuständig sind, fanden Biologen der Duke University (Nature, 451, S.305) im Gehirn von Sumpfammernmännchen, die mit ihren Liedern, wie bei Singvögeln üblich, ihr Revier abstecken und Weibchen anlocken.
Die einschlägigen Spiegelneuronen sitzen in dem Hirnzentrum, das für Lieder zuständig ist („high vocal centre“), sie sind aktiv, wenn (1)der Vogel ein Lied eines Kollegen hört, und (2)wenn er es selbst singt.
Dabei ist im Fall (2) nicht das Hören des eigenen Liedes entscheidend, sondern die Motorik des Singens. (Die Neuronen sind auch aktiv, wenn die Vögel sich selbst nicht hören können.) Allerdings wird das Signalmuster, das durch die Motorik des eigenen Singens entsteht, im Gehirn so umgewandelt, dass es nach der Umwandlung aussieht, als ob es durch Hören entstanden wäre. Es wird sozusagen von „Motorisch“ auf „Akustisch“ übersetzt. Das dient offensichtlich dazu, um einen Vergleich zu erleichtern – und damit Imitation und Lernen. Die Spiegelneuronen sind auch mit dem Zentrum fürs Lernen von Liedern verknüpft.
Spielt das „Sprach-Gen“ mit?
Ähnliche Mechanismen seien wohl wirksam, wenn Menschen sprechen lernen, meinen die Autoren. Dafür spricht auch, dass wir Spiegelneuronen in einem unserer Sprachzentren, dem Broca-Areal, haben: Wie das Lied-Zentrum der Singvögel sitzt dieses Areal nur in einer Hirnhälfte (meist links).
Noch eine Parallele: Eines der beiden Menschen-Gene, von denen man weiß, dass sie mit dem Sprechen zu tun haben, ist FoxP2, es beeinflusst u.a. die Entwicklung des Broca-Zentrums, sein Defekt äußert sich in Störungen von Grammatik und Motorik. Wenn sein Pendant in Singvögeln defekt ist, dann sind deren Gesänge verstümmelt. Man möchte darauf wetten, dass das Singvogel-FoxP2 im „high vocal centre“ wirkt... tk
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2008)
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